Wie kann agiles Arbeiten für Veränderung in der Arbeitswelt sorgen und auf schnell ändernde Märkte reagieren?

"Agile Working" ist in aller Munde. Viele Unternehmen setzen es auf ihre Agenda. Doch was bedeutet eigentlich agil? Und ist es ein Garant für Erfolg? Jeff Gothelf, US-amerikanischer Agile Coach, spricht von Demut im Führungstil und erklärt, warum Start-up Gründer kontinuierlich mit Kunden sprechen sollten.

Agile Coach Jeff Gothelf

Herr Gothelf, agiles Arbeiten ist in aller Munde. Was genau steckt dahinter?

Der Begriff "Agile" ist vor rund 17 Jahren im IT-Umfeld entstanden. Der Ansatz war, Software in einer zweckdienlicheren und weniger verschwenderischen Weise zu entwickeln. Heute wird die Methode in vielen Bereichen eingesetzt. Unabhängig davon, ob es im IT, im Marketing, im Finanzwesen, der Rechts- oder Personalabteilung ist. Aber es funktioniert nur, wenn das gesamte Unternehmen die mit Agilität verbundenen Philosophien und Grundsätze versteht und beginnt, diese anzuwenden.

Was sind das für Grundsätze?

Ein agiles Unternehmen verfügt über die Fähigkeit, schnell zu lernen und agil auf das, was es lernt, zu reagieren. Was wir von agilen Teams verlangen, ist zu lernen, kontinuierlich zu erforschen, ob sie stets an den zum jeweiligen Zeitpunkt wichtigsten Dingen arbeiten oder nicht. Wenn das nicht der Fall ist, liegt es in ihrer Verantwortung, den Kurs zu ändern.

In Deutschland gibt es viele hierarchisch organisierte Unternehmen, häufig sehr traditionelle Firmen. Kann agiles Arbeiten hier helfen?

Agilität in einem von Silodenken geprägten Unternehmen umzusetzen, ist schwer. Probleme tauchen auf, wenn Vorgesetzte eine klare Meinung dazu haben, woran das Team arbeiten sollte, ungeachtet dessen, was das Team lernt. Das ist der Punkt, an dem Konflikte entstehen. Die Teams sagen: "Sie haben gesagt, wir sollen agil arbeiten. Das tun wir und merken dabei, dass es so wie wir es umsetzen sollen, keinen Sinn ergibt. Wir glauben, es sollte anders laufen."

Die Herausforderung liegt darin, ein traditionelles Management in ein Umfeld zu verwandeln, das von ständigem Lernen und Weiterentwicklung geprägt ist.

Jeff Gothelf, Agile Coach

Das ist dann der Punkt, an dem die Führungskraft auf das, was das Team erlebt hat, vertrauen sollte, oder?

Richtig. Eine agile Führungskraft in einem agilen Unternehmen wird das Ergebnis von einem Team annehmen. Wenn Beweise dafür vorliegen und es sich nicht nur um eine Meinung handelt. Sie wird dem Team erlauben, den Kurs anzupassen. In einem traditionellen Unternehmen lautet der Grundsatz: Der Chef weiß es am besten. Und es wird getan, was er sagt. Die Herausforderung liegt darin, ein traditionelles Management in ein Umfeld zu verwandeln, das von ständigem Lernen und ständiger Weiterentwicklung geprägt ist. Das ist eine schwierige Angelegenheit. Es bedeutet, die Unternehmenskultur komplett zu verändern.

Dann sind eigentlich flache Hierarchien die Lösung - was viele Menschen ja auch befürworten.

Ich glaube nicht, dass Menschen wirklich flache Hierarchien wollen. Die Menschen wollen wissen, wer letztlich für bestimmte Entscheidungen verantwortlich ist. Wer tatsächlich das Sagen hat. Es ist vielmehr eine Frage von mehr Demut im Führungsstil. Ich meine damit keinen Führungsstil, der unentschlossen ist. Im Gegenteil: Ich denke, dass gute Führungskräfte eine deutliche Meinung dazu vertreten sollten, was das Team zu tun hat und dazu, wie es diese Arbeit angehen sollte. Aber anhand von Beweisen. Beweise, die am Markt eingeholt wurden. Beweise, die durch Kundenfeedback eingeholt wurden. Es geht nicht darum, von Managern zu verlangen, Macht abzugeben oder keine Manager mehr zu sein, sondern offen zu sein, ihre Meinung aufgrund vorliegender Beweise zu ändern. Das ist der Schlüssel, die Lücke zwischen Management und Agilität zu überbrücken.

Wenn wir über den Großhandelssektor sprechen, was könnte dieser von Ihnen lernen?

Egal, ob man im B2B-Bereich oder im B2C-Bereich tätig sind - am Ende des Tages ist es das Wichtigste, das Menschen die Produkte und Dienstleistungen nutzen. Fragen Sie sich deshalb immer: Wie kann ich das Leben meiner Kunden verbessern? Wie steigere ich den Erfolg der Menschen, die Produkte und Dienstleistungen von mir beziehen. Und ich denke, wenn Sie das wirklich verstehen und Sie diese Nutzer durch die Verwendung Ihrer Produkte sogar noch erfolgreicher machen können, bauen Sie Loyalität auf und gewinnen Wiederholungskunden.

Ist das auch ein Tipp für Start-ups, damit sie die Anfangsjahre ihres eigenen Unternehmens erfolgreich meistern?

Start-up Gründer müssen ihre Ideen, Visionen und Strategien kontinuierlich am Markt testen. Ich würde ihnen sagen: Sprecht mit Kunden, nicht nur einmal oder zweimal, sondern regelmäßig, jede Woche. Gründer sollten nicht zulassen, dass die Gründer-Arroganz einer ständigen Kundenforschung und Kundenentwicklung im Weg steht. Meist glauben sie nämlich zu wissen, wie das Produkt auszusehen hat. Aber ich garantiere, dass sie bei einigen Dingen falsch liegen werden. Und je schneller Start-ups das herausfinden, desto leichter ist es, den Kurs neu zu setzen und das Produkt für einen erfolgreicheren Neubeginn zu verbessern.

Über ... Jeff Gothelf

Jeff Gothelf, US-amerikanischer Agile Coach

Jeff Gothelf arbeitet als Coach und Berater für Produkt- und Führungskräfteteams. Er erklärt ihnen, wie sie durch ständiges Lernen, Produkt Discovery-Methoden und einen nutzerorientierten Ansatz der Produktentwicklung bessere Produkte schaffen können, die ihre Kunden lieben. Er ist Co-Autor von Sense and Respond, Lean UX und Lean vs Agile vs Design Thinking.
www.jeffgothelf.com

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