Betriebskantinen: Vom Krisenmanagement zum Flexoffice

Massenverpflegung mit Krankenhausflair – das war einmal das Bild, das einige Betriebskantinen abgaben. Inzwischen geht die Reise hin zu Angeboten mit Restaurantcharakter und kulinarischer Vielfalt. Und die Coronapandemie hat bei vielen Entwicklungen auf die Tube gedrückt.

METRO Kantine am Campus in Düsseldorf

Wo es jahrelang ab 11 Uhr morgens wie im Bienenstock summte, herrschte zuletzt mal gespenstische Stille, mal verhaltener Betrieb im Alarmmodus: Betriebskantinen mussten ihre wirtschaftlichen und organisatorischen Abläufe mit Blick auf die Covid-19-Pandemie und geringere Gästezahlen komplett überdenken. „Der Schutz der Mitarbeiter und Gäste hatte höchste Priorität. Abstandsregeln, eine reduzierte Zahl an Sitzplätzen und teilweise sogar Einlasskontrollen – wir haben umfassende Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt“, sagt Gerhard Frauenschuh, Leiter der Kantinen des deutschen Motorenherstellers MAN Energy Solutions. „Die Coronamaßnahmen waren eine echte Herausforderung im sonst routinierten Notfall- und Hygienemanagement. Dabei hat sich die kleine Community der Kantinenmanager online vernetzt, gegenseitig beraten und stark unterstützt. Das war eine große Erleichterung.“ Seit rund 15 Jahren leitet er die Kantinen von MAN Energy Solutions an den Standorten Hamburg, Berlin, Augsburg, Deggendorf, Oberhausen und Ravensburg.

Lieferservice und Take-Away für das Flexoffice

Kantinenessen in einer To Go Verpackung

Auf rund 45 % Auslastung kommen die Kantinen an den deutschen Unternehmensstandorten von MAN Energy Solutions inzwischen durchschnittlich. Im Sommer mehr, im Winter weniger. Nach Kurzarbeit und Homeoffice ist, wie in vielen Betrieben, Flexoffice gekommen, um zu bleiben – natürlich mit Ausnahme der Produktion. Wenn die MAN Mitarbeiter nicht mehr in gewohnter Regelmäßigkeit ins Büro kommen, bedeutet dies auch deutlich weniger Gäste in den Kantinen. Bereits mit dem ersten Lockdown hat Gerhard Frauenschuh reagiert und die To-Go- bzw. Take-Away-Versorgung ins Leben gerufen. „Zum Glück hatten wir bereits ein Pfandsystem für Geschirr etabliert.“

Neben der Kantine betreibt der METRO Belieferungskunde kleine Shops, in denen sich die Gäste mit Snacks wie belegten Brötchen oder Milch für den Kaffee versorgen können. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema: So erfährt die Kantine, die 2020 für ihr durchdachtes Konzept den 3. Platz beim METRO Preis für nachhaltige Gastronomie abgeräumt hat täglich von der Personalabteilung, wie viele Mitarbeiter heute zur Arbeit in die Firma gekommen sind, und kocht nur für die entsprechende Personenzahl, damit möglichst wenig Überschuss entsteht. Freitags gibt es das Foodsaving-Buffett, ein weiterer wichtiger Bestandteil des Nachhaltigkeitskonzepts. Hier wird die Überproduktion der letzten Tage auf den verarbeitet. Frauenschuh: „Die Pandemie und die resultierenden Probleme haben Kantinenbetreiber zu Krisenmanagern gemacht. Wir werden beispielsweise unsere Lagerhaltung künftig vergrößern, um garantiert alle notwendigen Lebensmittel da zu haben, auch wenn es wegen Hamsterkäufen mal zu Lieferengpässen kommt.“

Salat aus der Kantine in einer To Go Verpackung
Mehrwegbecher aus der Kantine, Preis 4 €

Kantinen entwickeln sich zu Betriebsrestaurants

Neben dem Flexoffice hat die Pandemie einen weiteren Trend verstärkt: Die Kantinenbesucher legen großen Wert auf hochwertiges Essen. Nachhaltig, regional und in Bio-Qualität soll es sein. Ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein gepaart mit Wissen um gesunde Ernährung und um die Produktionsbedingungen von Lebensmitteln hat die Nachfrage nach gesunder Kost mit viel Gemüse und wenig Fleisch signifikant gesteigert. Und leichtes, gesundes Essen ist nicht nur bei Büroarbeitern angesagt. Beliebte Klassiker geblieben sind zwar Currywurst, Schnitzel mit Pommes und Gyrosteller. Doch es gilt: Weniger ist mehr, dafür gerne bewusst in guter Qualität.

Lag die Zahl der vegetarischen Gerichte vor der Pandemie bei knapp unter 50 %, sei sie seitdem auf teilweise über 60 % gestiegen, sagt Frauenschuh. Und die Gäste seien auch bereit, für gutes Essen mit hochwertigen Zutaten etwas mehr auszugeben. Dass moderne Kantinen das Essen nicht mehr in Standard-Portionsgröße und mit täglich 3 festen Gerichten zur Auswahl anbieten, komme dieser bewussten Ernährung entgegen. Wie im Restaurant stellen die Besucher sich ihr Essen selbst zusammen, je nach Appetit und Vorlieben – ein Plus auch für Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder speziellen Diäten.

Gerhard Frauenschuh, Leiter der Kantinen des deutschen Motorenherstellers MAN Energy Solutions

Gerhard Frauenschuh, Leiter der Kantinen des deutschen Motorenherstellers MAN Energy Solutions.

Gerhard Frauenschuh bestellt Essen in der MAN Kantine

„Arbeiten im Büro ist ein Happening geworden“

Weniger Massenabfertigung, mehr Restaurantcharakter: Auch räumlich entwickeln die Kantinen sich rasant weiter. Statt eines riesigen Speisesaals im klassischen Stil findet man jetzt mehr und mehr Räumlichkeiten, die vielfältig nutzbar sind, etwa für Veranstaltungen, als flexible Besprechungsecken oder für Happy Hour Events.
„Im Sommer haben wir den Außenbereich viel stärker als zuvor einbezogen und neue Aktionen wie Food Trucks und kleine Stände mit Live Cooking aufgebaut. So laden wir unsere Gäste nicht nur ein, ihre Mittagspause bei uns zu verbringen, sondern auch zum Kaffee etwas zu snacken oder sich zum Meeting hier zu treffen“, sagt Frank Damann, seit 3 Jahren Leiter der METRO Kantine in Düsseldorf. „Ins Büro zu kommen ist ein bisschen zum Happening geworden, der persönliche Austausch in angenehmer Atmosphäre nach den langen Monaten im Homeoffice ist etwas ganz Besonderes.“ Neben der Betriebskantine kümmert er sich um den Catering-Bereich für Veranstaltungen von METRO, aber auch für andere Unternehmen und private Feierlichkeiten. Außerdem gehören Kochschulungen und -events zum Angebot. Neuerdings können die Gäste auch mal Crêpes und Waffeln in der Kantine am METRO Campus genießen. „Wir versuchen, unsere Gäste immer wieder mit Neuigkeiten zu überraschen. Als Lebensmittelgroßhändler haben wir zudem den Vorteil, an der Quelle zu sitzen: Produktinnovationen der Branche landen bei uns früh auf dem Teller.“

Digitalisierung auf der Überholspur

SelfCookingCenter

Die Pandemie hat zudem weitere Neuerungen vorangetrieben: Moderne digitale Tools unterstützen Kantinen bei allen Abläufen, angefangen bei der effizienten Warenwirtschaft über den Einkauf bis hin zu vernetzten Geräten in der Küche. So arbeitet MAN an einer Bestell-App inklusive Bezahl-Funktion, um sich mit den Gästen zu vernetzen. Sogar gegen Lebensmittelverschwendung kann sie helfen: nachmittags soll die App die Mitarbeiter auf vergünstigte Angebote hinweisen, damit am Abend möglichst keine Reste übrigbleiben. Digitale Helfer unterstützen auch dabei, den Fachkräftemangel abzufedern: Vernetzte Geräte in der Großküche erleichtern einige Arbeitsschritte beim Kochen.

METRO setzt unter anderem auf einen Lieferservice und nutzt dafür DISH von Hospitality Digital . „Die Lösungen sind eigentlich auf Restaurants und Cafés zugeschnitten, aber innerhalb von 2 Wochen lief das Tool auch bei uns. Jetzt können METRO Mitarbeiter unser Essensangebot ortsunabhängig einsehen. Und der Bestellprozess funktioniert reibungslos“, sagt Frank Damann.

Wie sieht sie aus, die Kantine der Zukunft?

Um Kantinen auch mit geringerer Auslastung profitabel zu betreiben, haben die Unternehmen bereits Ideen in der Schublade. „In die METRO Kantine konnte schon vor Corona ohnehin jeder zum Essen kommen, wie in ein Restaurant“, erzählt Damann. „Nach den pandemiebedingten Einschränkungen soll das auch wieder möglich sein“. Durch die Pandemie ins Rollen gekommen ist das Thema Take-Away, eine Flexibilität, von der nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch ihre Familien profitieren können. Sinnvolle Ansätze gibt es viele und die Pandemie hat einiges ins Rollen gebracht, was bisher nur als Plan vorhanden war. Die Branche sei in der Krise enorm zusammengewachsen und habe sich vernetzt, sagt MAN-Kantinenchef Frauenschuh: „Erst ging es nur um Corona und wie man damit umgeht, aber jetzt kommen mehr und mehr andere Themen auf und der Blick richtet sich auf zukünftige Entwicklungen.“

© Jan Voth

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