Was heißt es, ein „Ally“ zu sein?

„Ally“ bedeutet so viel wie Helfer, Partner oder Verbündeter. Im Kampf gegen Rassismus, gegen die Diskriminierung von Personengruppen oder Geschlechtern fällt das Schlagwort „Allyship“ immer wieder. Was steckt dahinter und wie zeigt sich Solidarität tatsächlich? Hanna Göhler, Beraterin für Diversity Management, gibt Tipps, wie sich Wertschätzung in Job und Alltag erlernen und praktizieren lässt.

Was heißt es, ein Ally zu sein?

Worauf kommt es beim Thema „Allyship“ an?

Allys sind Menschen mit Privilegien, die andere Menschen aus unterdrückten oder diskriminierten Gruppen unterstützen und sich solidarisch und empathisch zeigen. Das Ziel ist, dass die Menschen der marginalisierten Gruppen sich gehört, verstanden und wertgeschätzt fühlen. Ein Ally zu sein ist kein Etikett, sondern eine Haltung. Es bedeutet, Zustände kritisch zu hinterfragen und offen zu sein für Veränderungen, diversity-sensibel und vorurteilsbewusst und das in Handlung und Sprache widerzuspiegeln. Allyship ist ein proaktiver Prozess des Bewusstwerdens und des Handelns.

Wie lässt sich dieses Bewusstwerden anstoßen?

Zunächst einmal, indem man die eigenen Privilegien erforscht: „Mit welchen Machtpositionen bin ich ausgestattet und wann erlebe ich Gefühle von Ohnmacht? In welchen Situationen gehöre ich zur Mehrheits- oder zur Minderheitsgruppe?“ Und indem man sich in andere Menschen einfühlt: „Welche Erfahrungen hat diese Person gemacht, was bedeutet das? Welche Diskriminierungsformen sind mir bekannt, welche noch nicht?“ Das „Diversity-Rad“, etwa von Gardenswartz und Rowe, gibt Aufschluss über viele mögliche Dimensionen, in denen Menschen sich gleichen oder unterscheiden können, sowie darüber, bei welchen Themen Menschen diskriminiert werden und nach welchen Kriterien sie an gesellschaftlichen und politischen Prozessen teilhaben können oder eben nicht.

Hände schütteln

Worauf muss ich im Umgang mit Menschen aus marginalisierten Gruppen achten? Gibt es No-Gos?

Achte darauf, wie Menschen sich selbst bezeichnen und positionieren. Vermeide Zuschreibungen wie „Du bist so oder so, und deshalb bin ich sicher, dass du diskriminiert wirst, und jetzt helfe ich dir“. Das wäre ein machtvolles und dominantes Verhalten. Beobachte, sei aufmerksam, informiere dich, stelle neugierige Fragen. Alle Menschen möchten wertgeschätzt werden. Respekt und Wertschätzung können durch interessierte Fragen und vor allem durch Zuhören gezeigt werden. Schenke dem Menschen, der etwas über sich erzählt, ehrlichen Glauben.

Wie kann ich Menschen, die diskriminiert werden, in meinem direkten Umfeld am besten unterstützen?

Zeige dich sensibel und aufmerksam und stehe für andere ein. Menschen, die vielleicht fürchten, aufgrund eines personenbezogenen Merkmals diskriminiert zu werden, brauchen Sicherheit, um sich zu öffnen und von sich zu erzählen. Über bereits erlebte Diskriminierungen und die eigenen Gefühle zu sprechen ist nicht leicht. Zeige Verständnis und Empathie, nimm dich zurück. Versuche, dich in die andere Person hineinzuversetzen, und frage dich: „Wie wäre es, wenn ich diese Person wäre – eine Frau, transgender, im Rollstuhl, eine Person of Color, bisexuell?“ Wenn du es nicht direkt schaffst, diese Perspektive nachzufühlen, dann macht das nichts. Glaube der anderen Person und ihren Gefühlen trotzdem. Sei laut und deutlich und stehe für die Rechte aller ein, um Ungerechtigkeit aktiv entgegenzuwirken. Allyship ist kein folkloristischer Auftritt an einem symbolischen Feiertag, es ist eine diversity-sensible Haltung.

Wie verhalte ich mich, wenn ich Diskriminierung am Arbeitsplatz beobachte?

Wenn die Diskriminierung in einer alltäglichen Situation stattfindet, greife beherzt ein und benenne die Ungerechtigkeit. Es gibt aber auch strukturelle Diskriminierungen, etwa bei Bewerbungsverfahren. Dann gilt es, langen Atem zu beweisen, andere Menschen mit ins Boot zu holen und die Kräfte zu bündeln, um einen Wandel der bisherigen Praxis zu erreichen. Die Kerndimensionen des Diversity-Rads sind im arbeitsrechtlichen Teil des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und im Grundgesetz geschützt.

Sagen wir, es geht um eine alltägliche Situation. Was dann?

Sprich die Person, deren Verhalten du als diskriminierend empfindest, persönlich an: „Ich finde dein Verhalten gegenüber dieser Person unfair / ungerecht / dominant / rassistisch / sexistisch / herablassend … Was willst du damit erreichen?“ Langfristig kannst du zum Gespräch über Privilegien, Gefühle und Benachteiligungen einladen und dadurch den Raum zur Selbstreflexion über diese Themen öffnen. Auch interne Workshops, Weiterbildungen und Teammeetings können dazu gut genutzt werden. Um von Diskriminierung Betroffene zu unterstützen, sind grundsätzlich eine vertrauensvolle Basis und ein sicherer Raum nötig. Wichtig ist, ob die betroffene Person sich diskriminiert fühlt und deine Unterstützung haben möchte, und wenn ja, was sie genau braucht. Ally zu sein heißt auch: Manifestiere keine Opferrolle, sondern unterstütze auf Wunsch dabei, eine machtvollere Position einzunehmen. Das Stichwort lautet hier „Empowerment“.

Tanzende Menschen

Was, wenn der oder die Diskriminierende eine Führungsrolle innehat?

Menschen in Führungsrollen befinden sich in einer Machtposition und nicht alle reflektieren diese Macht und ihre mögliche Wirkung. Wenn die Bewusstwerdung nicht eigeninitiativ einsetzt, können organisatorische Hebel wie das Einschalten von Vertrauenspersonen, der Beistand durch den Betriebsrat, die Eskalation über die Hierarchieebenen oder auch das Öffentlichmachen, von der Kaffeeküche bis hin zur Presse, antidiskriminierend wirken und zur Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der Organisation führen. Für Führungskräfte: Macht bedeutet Stärke. Nutze diese und gib sie frei, damit auch andere davon profitieren können. Du verlierst nichts – wobei andere viel gewinnen.

Was gilt es noch zu beachten?

Alle Menschen sind einzigartig und alle haben die gleichen Rechte. Manche Menschen sind sensibel, andere sind stark, wieder andere sind zurückhaltend. Niemand möchte auf ein bestimmtes Merkmal reduziert werden. Wir alle möchten als facettenreiche, ganzheitlich fühlende Wesen wahrgenommen werden. Lasst uns aufeinander achten und dafür einstehen, dass alle Menschen mit Würde behandelt werden.

Niemand möchte auf ein bestimmtes Merkmal reduziert werden. Alle Menschen sind facettenreich.

Hanna Göhler, Beraterin für Diversity Management

Hanna Göhler Portrait

Über ... Hanna Göhler

Hanna Göhler lebt in Köln und ist Beraterin für Organisationsentwicklung und Diversity Management. Sie begleitet Unternehmen und Organisationen unter anderem bei der digitalen Transformation und als Anti-Bias-Multiplikatorin. Göhler ist Vorstandsmitglied bei der Internationalen Gesellschaft für Diversity Management (idm) in Berlin und Gründerin von Digital Habitat.

Bunte Fenster

„Veränderung ist keine einmalige Sache, sondern ein Prozess“

METRO und MAKRO Mitarbeiter aus verschiedenen Ländern teilen ihre persönlichen Ansichten und Visionen zum Thema LGBT*IQ.

Weil es im Job egal sein sollte, wen wir lieben

Weil es im Job egal sein sollte, wen wir lieben ♡

Albert Kehrer, Gründer der PROUT AT WORK-Foundation, erklärt, warum die Beschäftigung mit LGBT*IQ lohnt.

Weitere Artikel