3 Fragen, 3 Antworten: Die Zukunft alternativer Proteine

Egal ob Tofuschnitzel, Hafermilch oder künstlich kultivierte Meeresfrüchte - alternative Proteine liegen im Trend und können mit konventionellen Proteinen inzwischen durchaus mithalten. Aber werden wir bald nur noch Ersatzprodukte aus Weizen, Soja und Co. essen? Ein Ernährungspsychologe, ein Experte für Lebensmitteltechnologie und eine Marktexpertin geben Antworten.

Alternative Proteine Milch

Christoph Klotter
Christoph Klotter ist Professor für Gesundheits- und Ernährungspsychologie an der Hochschule Fulda.
Karen Tay
Karen Tay ist Teamleiterin für den Bereich Alternative Proteine bei Classic Fine Foods Singapore, einer Tochter der METRO AG.
Christian Zacherl
Christian Zacherl ist Geschäftsfeldmanager Lebensmittel am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV.

Wie sehr stellen alternative Proteine unsere Ernährungsgewohnheiten auf den Kopf?

Prof. Dr. Christoph Klotter: Ernährungspsychologisch betrachtet leben wir in einer stillen Revolution. Die gesamte Lebensmittelbranche verändert sich und konzentriert sich auf das Thema Nachhaltigkeit. Deshalb sind Protein-Ersatzprodukte auch eindeutig auf dem Vormarsch und absolut zukunftsfähig. Für das große Umdenken sind besonders die Millenials verantwortlich, die qualitätsbewusster und ethisch verantwortungsvoll einkaufen und sich gesundheitsorientierter ernähren wollen. So bezeichnen sich laut Ernährungsreport des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Jahr 2020 inzwischen 55 % der Deutschen als Flexitarier, also als flexible Vegetarier, die ihren Fleischkonsum bewusst reduzieren – vor 10 Jahren hätten die meisten noch nicht einmal gewusst, was ein Flexitarier ist.

Christian Zacherl: In den letzten 5 bis 10 Jahren gab es bei den alternativen Proteinen einen richtigen Boom – sowohl in der Nachfrage als auch in den Produktanwendungen und Forschungsprojekten. Das hängt mit verschiedenen Faktoren wie neuen heimischen Rohstoffquellen sowie verbesserten Technologien und Verarbeitungsprozessen zusammen. Insbesondere die letzten beiden Punkte haben die Qualität der Produkte stark verbessert – vor allem den Geschmack und die Textur. In den nächsten Jahren wird sich das nochmal deutlich weiterentwickeln.

Karen Tay: Alternative Proteine sind ein globales Phänomen, das momentan stark an Fahrt aufnimmt. Die Entwicklung geht aber in einigen Ländern und Städten besonders schnell voran. Hongkong und Singapur sind beispielsweise in Asien führend. Sie bieten ein attraktives und innovatives Ökosystem, das die wichtigsten Akteure der gesamten Wertschöpfungskette anlockt, etwa Lieferanten von Zutaten, Verarbeitungsunternehmen, Hochschulen, Start-ups und Investoren. Schneller beschlossene rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere für kultiviertes Fleisch, werden auch darüber entscheiden, ob und wann diese Produkte auf unseren Tellern landen. Soja als gängiger Bestandteil pflanzlicher Proteine ist seit langem Teil der asiatischen Ernährung. Gleichzeitig passen die Unternehmen die Proteine so weit wie möglich an die lokale Küche und die Essgewohnheiten an, was ebenfalls zu mehr Akzeptanz beiträgt.

Welchen Stellenwert nehmen alternative Proteine für unsere zukünftige Ernährung ein?

Prof. Dr. Christoph Klotter: Alternative Proteine tragen dazu bei, dass unsere Ernährungsweisen vielfältiger werden. Diese werden noch stärker mit dem eigenen Lebensstil und der eigenen Identität verbunden sein. Welche Lebensmittel ich wähle, hat immer eine kulturelle und soziale Bedeutung. Das heißt, dass Menschen Identität gewinnen und soziale Zugehörigkeiten schaffen, indem sie beispielsweise vegan leben, afrikanische Gerichte kochen oder im Sommer am Grill stehen. Unser Fleischkonsum wird dabei zurückgehen und Ersatzprodukte werden sich stärker etablieren. Aber Fleisch wird sicherlich nicht ersatzlos verschwinden. Denn es steht in der Menschheitsgeschichte für Wohlstand, Überleben, Macht und Männlichkeit – es ist eine Form der gesellschaftlichen Teilhabe.

Christian Zacherl: Pflanzen werden einen großen Anteil der zukünftigen Proteinquellen darstellen. Ersatzprodukte werden besonders in den Bereichen wichtiger, in denen sie bereits heute gut akzeptiert sind – zum Beispiel als Hackfleisch, Wurstersatz oder Drink. Da merkt man kaum noch Unterschiede zum tierischen Pendant. Auch im Vergleich zu anderen alternativen Proteinen wie fermentierten Produkten oder In-Vitro-Fleisch werden Pflanzen meiner Meinung nach in Zukunft den größten Anteil behalten. Denn sie sind als Proteinquelle sehr effizient, bieten schon jetzt eine große Auswahl und gute Qualität, sind von den Verbrauchern weitestgehend akzeptiert und rentieren sich wirtschaftlich.

Karen Tay: Alternative Proteine können ein Teil der Lösung für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem sein, weil sie sehr ressourceneffizient herzustellen sind. Die Entwicklung wird aber darüber hinaus gehen, reine Ersatzprodukte zu schaffen – also das zu imitieren, was man derzeit konsumiert. Es wird vollkommen neue Produkte geben. Den Köchen als kulinarische Experten kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie kreieren aus den Produkten Genusserlebnisse und überraschende Lebensmittel, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Welche Herausforderungen gibt es, um alternative Proteine zukunftsfähig zu machen?

Prof. Dr. Christoph Klotter: Ich sehe eine entscheidende Aufgabe darin, eine Kultur des gegenseitigen Respekts zu etablieren. Fleischesser und Veganer sollten versuchen einander zu verstehen. Dafür ist eine zielgruppenspezifische Kommunikation notwendig, die aufklärt und Verständnis schafft.

Christian Zacherl: Aktuell mangelt es europaweit an Verarbeitungskapazitäten für alternative Proteine. Daher sind Investitionen notwendig, um entsprechende spezialisierte Produktionsanlagen zu bauen. Hierin müssen die Proteine in höchstmöglicher Qualität hinsichtlich Sensorik und Funktionalität und möglichst aus regionalen Rohstoffen gewonnen werden. Dies erfordert neue, effiziente Extraktionstechnologien sowie eine maßgeschneiderte Prozessführung. Zudem sind Landwirte zu schulen, damit sie das nötige Know-how für den Anbau der neuen Rohstoffe erhalten: wie sie mit neuen Pflanzenarten umgehen oder welche Fruchtreihenfolge empfehlenswert ist.

Karen Tay: Wir verkosten wöchentlich Produktproben, die Unternehmen aus aller Welt uns schicken. Viele Produkte kommen dem Original schon nahe und die Vielfalt ist groß, aber es gibt noch einige Qualitätslücken zu schließen. Denn abgesehen vom Geschmack stellen die Konsumenten hohe Ansprüche an alternative Proteine, etwa in Bezug auf den Nährwert und die Nachhaltigkeit – oftmals höhere als an konventionelle Äquivalente. Neben der Qualität hängt die weitere Entwicklung von den Preisen ab. Erst wenn sie für einen Großteil der Bevölkerung erschwinglich sind, werden alternative Proteine zu einer echten Option.

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