Clean Meat – Fleisch neu gedacht
Ein Burger vom Rind, auf Pflanzenbasis oder aus dem Labor? Laut Jette Feveile Young ist das keine Entweder-Oder-Frage.
Ein Burger vom Rind, auf Pflanzenbasis oder aus dem Labor? Laut Jette Feveile Young ist das keine Entweder-Oder-Frage.
Weltweit isst jeder von uns etwa 40 Kilogramm Fleisch pro Jahr – in Deutschland sind es sogar rund 78 Kilogramm. Unser Fleischkonsum und die damit verbundene Massentierhaltung beeinflussen jedoch nachweislich Umwelt und Gesundheit. Jette Feveile Young forscht daher an der Aarhus University in Dänemark an einer ressourcenschonenderen Alternative zu Fleisch, wie wir es kennen: dem Steak aus der Petrischale. Kultiviertes Fleisch – auch In-Vitro-Fleisch oder Laborfleisch genannt – ist nicht zu verwechseln mit Fleisch aus pflanzlichen Proteinen, aber dennoch kommt es in der Herstellung mit wenigen tierischen Bestandteile aus. Es ist sozusagen „Clean Meat“.
MPULSE: Fleisch aus dem Labor klingt für viele Menschen sehr befremdlich – wie eine Zukunftsvision aus einem Science-Fiction-Film. Was verbirgt sich hinter kultiviertem Fleisch wirklich?
Jette Feveile Young: Kultiviertes Fleisch entsteht durch die Züchtung von Muskelgewebe aus tierischen Stammzellen. Wir versuchen also den natürlichen Prozess der Entstehung von Fleisch künstlich nachzuahmen – aber das ist gar nicht so einfach. Denn Fleisch ist vielmehr als nur Gewebe: Es kommt auf den Geschmack an. Der wird im Fleisch insbesondere über Fette getragen. Weitere wichtige Faktoren bei der Produktion der Geschmackskomponenten sind die richtige Temperatur, die Sauerstoffspannung und Nährstoffe, sobald das Gewebe sein Wachstum abgeschlossen hat. Daher forschen wir an Verfahren, wie wir genau die Vorgänge in den Zellen in Gang setzen können, damit daraus Fleisch entsteht und der richtige Geschmack aufgebaut wird. Anders ausgedrückt: Wie wir die Prozesse, die normalerweise durch die Schlachtung, Kühlung und Reifung des Fleischs eingeleitet werden, im Labor nachahmen können. Unser Ziel ist es, am Ende das gleiche Mundgefühl, die Saftigkeit und den richtigen Geschmack wie bei normalem Fleisch zu erhalten. Denn am Ende des Tages entscheiden die Menschen, ob sie es essen wollen.
Was ist denn der Schlüssel, damit Verbraucher Fleischalternativen in ihren Speiseplan aufnehmen?
Ich denke, Geschmack spielt neben Umwelt- und Tierwohlaspekten eine wesentliche Rolle. Denn wenn es Konsumenten nicht schmeckt, werden sie es nicht wieder essen. Für diejenigen, die Fleischgeschmack nicht mögen, sind daher sicherlich pflanzenbasierte Fleischalternativen, die sich geschmacklich bewusst vom Original entfernen, interessant. Ich glaube aber, dass leidenschaftliche Fleischesser bereit wären, auf kultivierte Alternativen umzusteigen, wenn diese marktreif sind – weil sie ihre geschmacklichen Anforderungen erfüllen und dabei schonender für die Umwelt sind. Bei pflanzlichen Produkten mit ‚Fleischgeschmack‘ tun es einige schon. Aktuell ist es daher sicher einfacher, Produkte zu entwickeln, die normalem Fleisch so ähnlich wie möglich sind, um Fleischliebhaber zu überzeugen. Langfristig ist es aber auch denkbar, vollkommen neuartige Produkte zu schaffen: Warum muss es ein Hackbällchen auf Pflanzenbasis oder aus dem Labor sein, kann es nicht auch etwas ganz anderes sein?
Jette Feveile Young ist Professorin am Institut für Food Science in Aarhus, Dänemark, und Leiterin des Forschungsteams Differentiated & Biofunctional Foods. Zu ihren Fachbereichen gehören vor allem die Themen Fleisch und Fleischalternativen sowie Zellbiologie. Sie ist Referentin und Mitorganisatorin der „Cultured Meat“-Konferenz, bei der es nicht nur um die Zukunft der traditionellen Fleischindustrie geht, sondern auch um alternative Proteine und künstlich gezüchtetes Fleisch. Zudem hat sie zusammen mit dem European Institut of Innovation and Technology (EIT) das Manifest „The Future Protein Manifesto“ geschrieben.
Das heißt, Fleischalternativen werden den traditionellen Sonntagsbraten in Zukunft ablösen?
Es gibt hier nicht nur die eine oder andere Lösung, wie es oft dargestellt wird. Ich denke nicht, dass wir unseren normalen Fleischkonsum komplett einstellen müssen, um ressourcenschonend zu leben. Es geht vielmehr darum, mehr Alternativen zu schaffen und nachhaltigere Methoden zu etablieren, wie wir Fleisch produzieren. Denn die weltweite Nachfrage nach Fleisch ist auf jeden Fall da! Fleisch wird immer ein Teil unserer Kultur bleiben, gerade in westlichen Industrienationen. Aus ernährungswissenschaftlicher Perspektive hat Fleisch zudem eine einzigartige Nährstoffzusammensetzung, die man nicht in anderen Lebensmitteln findet und schwer imitieren kann – jedoch reicht schon eine kleine Menge aus, um unseren Bedarf zu decken. Das Mindset der Menschen aber dahingehend zu verändern, dass wir uns mit weniger Fleisch zufriedengeben bzw. auf Fleischalternativen einlassen und das tatsächlich gut finden, wird 1 oder 2 Generationen brauchen. Apropos Mindset, in der Gastronomie gibt es 2 Lager: Die einen kochen komplett fleischlos und die anderen vertreten die Ansicht „Ohne Fleisch kein Geschmack“.
Apropos Mindset, in der Gastronomie gibt es 2 Lager: Die einen kochen komplett fleischlos und die anderen vertreten die Ansicht „Ohne Fleisch kein Geschmack“. Können Fleischalternativen – ob aus Erbsen, Pilzen oder aus dem Labor – da eine Brücke bauen?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Möglichkeiten, die sich durch Alternativen zum konventionellen Fleisch ergeben, sehr schnell von der Gastronomie angenommen werden – vielleicht tatsächlich von beiden Lagern. Die Branche ist immer hungrig auf Neues! Wer als Koch die Fertigkeit besitzt, ein Produkt entsprechend zuzubereiten – auch in Sachen Textur und Geschmack – wird es sicher schnell in die Speisekarte integrieren und seine Gäste dafür begeistern können. Gleichzeitig unterstützen alternative Fleischprodukte Gastronomen dabei, ihr Geschäft nachhaltiger zu gestalten. Bei kultiviertem Fleisch beispielsweise wird nur das produziert, was auch verwertet wird – es gibt keine Teile vom Tier, die übrig bleiben und nicht verwendet werden.
Ist ein Burger aus der Petrischale denn in der Herstellung wirklich so viel umweltfreundlicher als eine herkömmlich produzierte Bullette?
Analysen zur Umweltbilanz haben gezeigt, dass kultiviertes Fleisch im Vergleich zur herkömmlichen Fleischproduktion deutlich weniger Nutzfläche sowie Wasser braucht, da es im Labor hergestellt wird. Auch die hohen CO2-Emissionen, die Tiere durch die Ausscheidung von Gasen verursachen, entfallen. Im Labor können wir zudem entscheiden, woher wir die Energie beziehen, die wir brauchen, um unser Fleisch zu ‚züchten‘. Ich bin auch überzeugt, dass wir neue Produktionsprozesse in bestehende Strukturen einbinden und dadurch starke Synergien schaffen können. Beispielsweise könnten wir die tierischen Zellen für die Laborzüchtung aus Tieren gewinnen, die in der konventionellen Fleischproduktion für die Schlachtung vorgesehen sind – und so aus einer Kuh Fleisch von anderthalb Kühen erhalten. So hätten wir genug Fleisch, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken, aber von weniger Tieren.
Also steht die Entwicklung von kultiviertem Fleisch nicht im Wettkampf zu herkömmlicher Fleischproduktion und pflanzenbasierten Produkten?
Meiner Meinung nach sollten die verschiedenen Systeme Hand in Hand gehen und sich ergänzen. Einige Produkte und Forschungszweige werden sich sicherlich miteinander vermischen. Wenn wir tierische Zellen kultivieren, brauchen wir eine Oberfläche, auf der sie wachsen können – das kann tierischen Ursprungs sein, aber auch auf pflanzlicher Basis geschehen. Man könnte also versuchen, tierische Zellen an Soja-, Pilz- oder Kartoffelproteine anzuheften. Dann wäre das entstandene Produkt teils pflanzlich, teils tierisch – ein Hybrid. Dadurch haben wir großes Potenzial, viele verschiedene Arten von Produkten mit verschiedenen Geschmäckern und Texturen herzustellen. Im Endeffekt geht es ja darum, eine ausgewogene und nachhaltige Ernährung sicherzustellen – und dazu brauchen wir eine gute und ressourcenschonende Balance an Nahrungsquellen.
Damit mehr Menschen Fleischalternativen nutzen, müssen diese natürlich auch erschwinglich sein. Der erste im Labor hergestellte Burger kostete im Jahr 2013 jedoch rund 250.000 €. Wird Laborfleisch in naher Zukunft überhaupt massentauglich sein?
Das teuerste bei kultiviertem Fleisch ist das Zellkulturmedium und das spezifische Wachstumsseerum, um die Muskeln wachsen zu lassen. In dem Bereich gibt es schon große Fortschritte in der Forschung, wodurch die Preise in den letzten Jahren bereits stark gesunken sind. Meiner Meinung nach kommt es daher auf die Forschung an – und dafür benötigen wir natürlich umfangreiche finanzielle Unterstützung. Bisher gibt es jedoch kaum staatliche Förderungen. Ich denke, es ist daher wichtig, Laborfleisch in der Öffentlichkeit bekannt und das Wissen darüber allgemein zugänglich zu machen. Dadurch könnten wir den Entwicklungsprozess deutlich beschleunigen und kultiviertes Fleisch schließlich auch für einen breiteren Markt verfügbar machen.
Der erste kultivierte Burger kam aus den Niederlanden: Ein Forscherteam der Universität Maastricht hat im Jahr 2013 das erste Rindfleisch im Labor gezüchtet. Während der Burger damals noch rund 250.000 € kostete, liegen die Preise laut Schätzungen inzwischen bei 9 bis 11 € pro Burgerpatty. Seit 2021 wird das erste In-Vitro-Produkt in Singapur in einem exklusiven Restaurant verkauft – Chicken Nuggets. Allerdings bestehen sie nur zu drei Vierteln aus gezüchteten Zellen, der Rest ist pflanzlich. In den nächsten 2 Jahren planen einige Start-Ups mit kultivierten Fleischprodukten an den Markt zu gehen – allerdings stehen dann auch noch die nötigen Zulassungen aus. Bis kultivierte Produkte auf unseren Tellern zu Hause landen, wird es also wohl noch etwas dauern.