Zurück zu den Wurzeln
Sellerie. Wenn Michael Wankerl damit kocht, findet man nicht viele andere Dinge auf dem Teller. Klingt eintönig? Es ist tatsächlich alles andere als das. Konsequent lokal und naturnah: ein Beispiel für nachhaltige Gastronomie.
Sellerie. Wenn Michael Wankerl damit kocht, findet man nicht viele andere Dinge auf dem Teller. Klingt eintönig? Es ist tatsächlich alles andere als das. Konsequent lokal und naturnah: ein Beispiel für nachhaltige Gastronomie.
Der Chef der Gerüchteküche in Graz trocknet Sellerie, schmort ihn im Ofen oder serviert ihn roh und in hauchdünne Scheiben geschnitten. „Die Knolle – nicht die Stangen“, betont er. „Sie bringt eine ureigene Salzigkeit mit und schmeckt so stark, dass man gar nicht viel würzen muss.“ In Wankerls Bücherregal stehen dicke Wälzer voller Formeln und Aminosäurenzusammensetzungen. Um aus einer Knolle das Maximum an Geschmack herauszuholen, muss man Gar- und Gärprozesse studieren, mit Temperatur experimentieren, um zum Beispiel den Zuckergehalt und so Geschmackserlebnis und Textur zu verändern.
Michael Wankerls Gerüchteküche befindet sich im Grazer Univiertel. Sie trägt 2 Gault & Millau Hauben. Es gibt einen kleinen Mittagstisch und abends 4, 5 oder 6 Gänge – woraus diese bestehen, erfährt der Gast erst, wenn der Teller vor ihm steht. Allergien und Abneigungen werden berücksichtigt, ansonsten wird gegessen, was auf den Tisch kommt – und die Gäste des Restaurants lieben es. „Da wir nicht nach Speisekarte produzieren, schmeißen wir auch nichts weg“, sagt Wankerl. „Wenn ich an dem einen Tag Sellerie hatte und der ist dann aus, aber ich habe in der Früh Pastinake gekauft – dann gibt es einen Pastinaken-Gang.“ Michael Wankerl verkocht alles. Wurzel, Früchte, Blüten, Grün. Er schält nichts und wenn doch, findet die Schale auch Verwendung. Er legt ein. Er fermentiert. „Ist nicht ganz das Gleiche“, sagt er. „Einlegen kannst du in unterschiedliche Flüssigkeiten. Fermentieren ist immer kontrolliertes Vergammeln.“ Er lacht. „Oder anders gesagt: ein Gärprozess auf Milchsäurebasis.“
Jedes Lebensmittel gibt es bei Wankerl nur dann, wenn es in der Region reif ist, oder Monate später – dann eingemacht. Umeboshi – eine gesalzene, getrocknete und anschließend rehydrierte Pflaume aus der asiatischen Küche hat er gemacht. „Die schmeckt dann süß, sauer, salzig und umami.“ Umami, aus dem Japanischen entlehnt, bedeutet so viel wie „köstlich“ und stellt eine eigene Geschmacksrichtung dar, die in etwa als „würzig“ oder „fleischig“ beschrieben werden kann. Derzeit versucht sich Wankerl an einer eigenen Sojasauce. „Das ist ein bisschen schwierig.“ Auch Misopasten macht er selbst. „Die brauchen mindestens 3 Monate. Wir machen sie aus Buchweizen und Emmer, aber auch aus Linsen oder Käferbohnen.“ Verwendet werden diese Pasten zum Würzen. „Wir verarbeiten zu 80 % pflanzliche Produkte. Die Misopasten kitzeln sehr gut die unterschiedlichen Aromen aus den einzelnen Gemüsesorten.“
Die tierischen 20 % in Wankerls Küche ergeben sich fast ausschließlich aus Eiern und Milchprodukten in Desserts. Auch hier wird kompromisslos regional eingekauft. Sahne, Milch, Joghurt nur im Glas vom Bio-Bauernhof. „Die sind im Schnitt um 15 bis 20 % teurer als die konventionellen Geschichten“, sagt Wankerl. „Aber wir verarbeiten die Produkte auch anders, sodass es am Ende nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich ist. Ich könnte für 1 € Karotten im Plastiksack kaufen – aber ich kaufe sie offen auf dem Markt für 1,50 €. Da ist aber das Grün noch dran und daraus mache ich Pesto. Natürlich ist diese Art zu kochen auf den ersten Blick teurer, aber man muss kreativ sein.“ Wankerl hat seine Art zu Kochen an seine Überzeugungen und seine Ansprüche hinsichtlich Nachhaltigkeit angepasst. Denn ursprünglich hat er anders gekocht: „Ich bin doch auch jahrelang in großen Restaurants und Hotels gewesen!“ Zur Veränderung inspiriert hat ihn seine Familie. „Meine Frau hat im Baubereich studiert und sich viel mit Nachhaltigkeit auf dem Gebiet beschäftigt – da kriegt man schon viel mit. Und mein Stiefsohn ist Leistungsschwimmer und wir standen vor der Herausforderung: Wie füttert man ein Kind, das 5.000 bis 6.000 Kilokalorien am Tag braucht? Gesund und vernünftig soll es ja auch sein. Und wenn man sich erstmal so intensiv mit allen Aspekten der Ernährung beschäftigt, bleibt einem irgendwann nichts Anderes übrig, als etwas zu ändern. Denn unweigerlich beschäftigt man sich auch mit dem, was man seinen Kindern hinterlassen möchte. Ich kann nur sagen, dass es mir immer noch wahnsinnigen Spaß macht, so zu arbeiten!“
Wankerl liebt Wurzeln – besonders den Knollenziest. „Sieht aus wie Maden“, wieder lacht er. „Schmeckt ein bisschen wie Haferwurzel. Kannst du braten oder roh essen.“ Gemeinsam mit seiner Frau ist er fast jedes Wochenende im Wald. „Wir sammeln Kräuter, Bärlauch, Fichtentriebe, Kapern und buddeln Sauerkleewurzeln und Nachtkerzenwurzeln aus – das wird dann alles frisch verarbeitet oder eingelegt.“ Neulich rief ihn ein Freund an, bei dem etwas im Garten wuchs, was er nicht kannte. Wankerl kam und „buddelte aus“. Wenn er nicht selbst sammelt, kennt er „2 liebe Gäste, die eh immer im Wald unterwegs sind und sammeln.“ Sie versorgen ihn etwa mit Pilzen und Kräutern.
Wankerl sagt, viele Leute wüssten gar nicht, welche Leckereien bei ihnen im Garten wachsen. Oder überhaupt in Österreich. „Hier gibt es so um die 2.000 Pflanzenarten, davon sind ungefähr 20 giftig und nur 5 tödlich. Die Menge an Regionalem, was man hier essen kann, ist enorm!“ Seine Frau, so Wankerl lachend, scherze immer, dass er irgendwann an etwas Giftigem sterbe. „Weil ich immer, wenn wir unterwegs sind, irgendwelche Blätter abreiße und darauf herumkaue, um zu sehen, wie sie schmecken, ob sie bitter sind und was man damit machen könnte.“ Doch die Leute lernen – und sie beginnen langsam, aber sicher, ihre Umwelt wertzuschätzen – und die Küche, die sie inspiriert. „Als unsere Gäste nach dem Ende des 1. Lockdowns wieder ins Restaurant kamen, waren sie wahnsinnig motiviert und wissbegierig – da hat die Vorarbeit, die wir geleistet hatten, mit der Art, wie wir in der ‚Gerüchteküche‘ Lebensmittel verarbeiten, wirklich Früchte getragen!“
Was er nicht selbst sammeln, pflücken, ernten oder beim Bauern kaufen kann, besorgt der Spitzenkoch mit Enfant-Terrible-Einschlag bei METRO. Sein Kundenmanager ist ein alter Freund und Kollege. „Beim ersten Kontakt habe ich gesagt: ‚Pass auf, so stelle ich mir das vor.‘ Bei vielem war anfangs nicht klar, ob das so möglich ist, aber METRO hat sich unwahrscheinlich bemüht und hat Lösungen angeboten, um meinen Wünschen gerecht zu werden. Wenn ich bei meinem Kundenmanager etwas anfrage, dann weiß er eigentlich immer gleich, was ich damit machen will.“ Dieses gemeinsame Grundverständnis von Küche und Gastronomie – das spart Zeit. Aus diesem Grundverständnis und dem Anspruch, Gastronomen bestmöglich in ihrem Alltag zu unterstützen und ihnen damit mehr Zeit fürs Wesentliche – nämlich Küche und Gäste – zu geben, ist auch die Plattform DISH entstanden. Wankerl nutzt das Reservierungstool DISH Reservation und für das Außer-Haus-Geschäft das Bestell-Tool DISH Order. „Mit den Online-Reservierungen sind die Telefonanrufe um 90 % zurückgegangen“, erzählt er. „Früher musste ich immer aus der Küche rennen, hab mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt und bin wieder kochen gegangen. Die Reservierung habe ich dann auf irgendeinen Zettel notiert. Jetzt reservieren die Leute auch mal morgens oder nachts – Uhrzeiten, wo sie bei uns sonst niemanden erreicht, auf den Anrufbeantworter gesprochen und wir erst Stunden später die Bestätigung geschickt hätten. So haben sie diese schon nach ein paar Klicks und können ihren Tag oder ihre Woche besser planen.“ Er hätte sogar einen seiner Verbesserungsvorschläge im Reservierungs-Tool entdeckt, erzählt Wankerl. „Früher gab es nur eine Verweildauer, die galt für mittags und abends. Aber mittags essen die Leute schneller und bleiben höchsten 1 Stunde – dafür abends eher 2. Jetzt kann ich das ganz genau einstellen – das macht meine Planung noch genauer.“ So bekommt Wankerl eine höhere Auslastung und kann somit auch höhere Umsätze erzielen.
Ergibt ein Glas.
Die Oberfläche mit einer Ölschicht bedecken – dann hält es sich verschlossen einige Monate.
Für Wankerl bedeuten weniger Anrufe auch mehr ungestörte Zeit in seiner Küche. Die Frage, ob Großhandel und Nachhaltigkeit sich widersprechen, beantwortet er mit einem „Man muss sprechen – dann geht alles!“. Er ist sicher, dass Nachhaltigkeit in mehr Köpfe und Restaurants einziehen würde, wenn man sie plakativer bewirbt. Wenn es eine Kennzeichnungspflicht für die Herkunft des Schnitzels gäbe – nicht nur im Handel, sondern auch im Restaurant. Dann würden es mehr Menschen begreifen. Hygiene, so Wankerl, sei das einzige, wo es die Nachhaltigkeit schwer hat. Reinigungsmittel für die Gastronomie müssen bestimmte Säuregrade haben, das Spülmittel für die Industriespülmaschinen kommt in Plastikkanistern, die er entsorgen muss und nicht zurückgeben kann. Er hat Verständnis für die Vorschriften, wünscht sich aber auch da ein Umdenken – und an dieser Stelle tatsächlich einfach Kompromisse.
Beim Fleisch macht Wankerl keine Kompromisse. Wenn er es in seiner Küche verarbeitet, ist es wie alle anderen Lebensmittel extrem regional. Schlachtet der Bauer seines Vertrauens ein Rind, nimmt Wankerl das halbe. „Filet und Rostbraten lasse ich immer da. Das sind Stücke, die für mich absolut uninteressant sind. Auf dem Grill links, rechts anbraten – da steht keine Idee, kein Charakter, kein Gefühl für mich dahinter. Bei mir gibt’s nur Geschmortes!“ Schulter, Backen, Herz, Leber, Lunge – in der „Gerüchteküche“ wird nichts verschwendet und alles verzehrt. Auch Hahnenkämme. Ja, DIE Hahnenkämme. „Die nehmen den Geschmack der Sauce an, in der sie geschmort werden und haben eine ganz witzige Textur – ein bisschen wie Calamari“, erklärt Wankerl. „Wenn man sie klein schneidet, merken die meisten Menschen gar nicht, was das ist in ihrem Gericht.“ Aber das ist nicht Wankerls Stil. Er ist provokant. Seine Gäste bekommen nicht nur jeden Tag sein Überraschungsmenü – sie bekommen auch seine Philosophie serviert – und sie lieben es. „Ich lasse die Hahnenkämme immer schön gezackt und lege sie über das Gericht auf dem Teller. Ich habe Stammgäste, die sagen dann: ‚Ach schau, heut‘ gibt’s wieder Drachen.‘“