Ist Nachhaltigkeit utopisch?

Warum Nachhaltigkeit so schwierig ist – und warum es trotzdem lohnt, daran zu arbeiten. Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Christian Berg.

Nachhaltigkeit Utopie

Als meine Großmutter geboren wurde, lebten nicht einmal 2 Mrd. Menschen auf der Erde. Heute sind wir fast 8 Mrd. Menschen. Gleichzeitig hat sich der Rohstoffverbrauch verachtfacht, der Energieverbrauch verzehnfacht. Wir diskutieren seit Jahrzehnten über Nachhaltigkeit und „Grenzen des Wachstums“, wie der Titel des 1. Berichts an den Club of Rome von 1972 lautete. 1992 einigte sich die Weltgemeinschaft in Rio auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, 2015 auf die 17 UN-Ziele der Nachhaltigkeit, die bis 2030 erreicht werden sollen. Trotzdem ist keine Trendwende in Sicht. Klimawandel, Abholzung der Regenwälder und Artensterben schreiten ungebremst voran.

Woran liegt das? Und was lässt sich dagegen unternehmen?

Es gibt dafür leider nicht nur den einen Grund, sondern sehr viele und sehr unterschiedliche Gründe. Es hat unter anderem damit zu tun, dass die Preise nicht die ökologische Wahrheit sagen, weil sie nicht die mit den Produkten verbunden Umweltschäden enthalten; dass es keinen wirksamen globalen Ordnungsrahmen für die Bewältigung globaler Herausforderungen gibt; dass wir gewaltige soziale Unterschiede auf der Welt haben – wer heute noch nicht einmal seine Kinder ernähren kann, wird nicht an künftige Generationen denken – und dass wir alle oft zu bequem sind und nicht das tun, was wir eigentlich für richtig halten.

Es gibt also viele solcher „Nachhaltigkeitsbarrieren“. Will man mehr Nachhaltigkeit realisieren, wäre viel gewonnen, wenn wir diese Barrieren Zug um Zug abbauen könnten. Wir wissen aus der Geschichte, dass es für große gesellschaftliche Umbrüche mehrere Ursachen gibt. Geschichte ist nie „monokausal“ erklärbar. Es muss also darum gehen, möglichst viele der Nachhaltigkeitsbarrieren aus dem Weg zu räumen, damit Veränderung geschehen kann.

Das Problem ist allerdings, dass es Veränderungen an vielen Stellen gleichzeitig braucht, es aber keinen globalen Steuermann gibt. Veränderung kann nicht per Dekret, sozusagen top-down, kommen. Sie ist auf das Zusammenspiel sehr vieler Akteure angewiesen. Und jeder Akteur muss mitmachen, die Politik, die Unternehmen, die NGOs, wir alle.

Utopie Berg

Um diese unterschiedlichen Akteure beim konkreten Handeln zu unterstützen, habe ich in meiner Forschung Prinzipien nachhaltigen Handelns formuliert. Diese Prinzipien beziehen sich auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche – unseren Umgang mit der Natur, das menschliche Miteinander, die Beziehung zu uns selbst sowie unseren Umgang mit Systemen. Manche Prinzipien richten sich an einzelne Akteursgruppen, das „Verursacherprinzip“ spricht zum Beispiel den Staat an. Wer einen Schaden verursacht, muss auch für die Wiedergutmachung einstehen, der Gedanke hinter der CO₂-Steuer. Andere Prinzipien richten sich an alle Akteursgruppen: Zur „Dekarbonisierung“ zum Beispiel, also zur Vermeidung fossiler Energien, kann jede und jeder von uns beitragen, durch die Wahl der Verkehrsmittel, den Bezug des Stroms, die Urlaubsgestaltung, die Geldanlage und natürlich durch das Konsumverhalten.

Für den Bereich der Ernährung schlage ich ein eigenes Prinzip vor: In dem Maße, wie man sich lokal, saisonal und pflanzenbasiert ernährt, kann man seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren: lokal, weil es Belastungen durch weite Transporte vermeidet; saisonal, weil dann aufwändige Lagerung im Kühlhaus entfällt; und pflanzenbasiert, weil Fleisch und Fisch mit hoher Umweltbelastung verbunden sind. Das heißt nicht, dass wir alle sofort Vegetarier werden sollen – aber schon aus gesundheitlichen Gründen empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung nur ca. 50 g Fleisch pro Tag, ein Drittel dessen, was wir im Schnitt essen.

Utopie Vögel

Zudem lohnt sich generell ein achtsamer Umgang mit dem Essen. Wer mal ein paar Tage gefastet hat, kann sich nur die Augen reiben, wie gedankenlos wir oft essen. Wann habe ich das letzte Mal nur gegessen – und genossen? Und nichts nebenher gemacht? Nicht noch nebenbei ferngesehen, telefoniert oder vielleicht sogar gearbeitet? Ist mir der Wert dessen bewusst, was ich esse? Wieviel Arbeit und Mühe steckt darin, bis es zu mir auf den Teller kommt? Und dass beim Fleisch und Fisch dafür sogar Tiere ihr Leben lassen müssen, damit ich genießen kann? Weniger kann mehr sein. Es geht nicht um Verbote – es geht um Lebensqualität.

Ist Nachhaltigkeit also utopisch?

Kommt drauf an. Der Historiker Thomas Nipperdey verstand eine Utopie als „eine Welt, die stimmt“; die „so geordnet ist, dass in ihr dem Menschen sein Leben glückt“. Ein Leben, das glückt, und das galt zu Großmutters Zeiten ebenso wie heute – wer möchte das nicht? Insofern lässt sich Nachhaltigkeit wohl als Utopie bezeichnen. Eine, die wahr werden kann. Ob das geschieht, liegt an uns.

Dr Christian Berg

Über … Prof. Dr. Christian Berg

Prof. Dr. Christian Berg lehrt Nachhaltigkeit an verschiedenen Universitäten (TU Clausthal, Universität des Saarlands, CAU Kiel) und ist als Sustainability Coach und Autor tätig. Berg studierte Physik und Philosophie, später noch Theologie. Mit der Frage, wie wir verantwortungsvoll mit der Schöpfung umgehen und Technik entsprechend einsetzen, beschäftigt er sich in verschiedenen Werken.

Sein jüngstes Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch“ ist ein aktueller Bericht an den Club of Rome, ein gemeinnütziges Netzwerk für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit, und von der Friedrich-Ebert-Stiftung für das Politische Buch 2021 nominiert worden. Es ist auch auf Englisch verfügbar als: Sustainable Action. Overcoming the Barriers, Routledge 2020. Mehr unter www.christianberg.net.

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